Natürlich war es ein Schock, als sich Donald Trump als Sieger der Präsidentschaftswahlen in den USA herausstellte. Aber wenn in Häme bei den einen, Zerknirschung bei den anderen schnell die vermeintliche Weltfremde des aufgeklärt-linksliberalen Diskurses angeprangert wurde, der nun überrollt sei von den realen Mehrheitsverhältnissen, ist das eine Halbwahrheit, die nicht zur Mythenbildung auswachsen sollte. „Hillary Clinton muss um den Sieg zittern“, machte die SZ am Wahltag auf, und der gepriesene amerikanische Wahlforscher Nate Silver mit seinem ungemein detaillierten Projekt fivethirtyeight.com unterließ nicht den Hinweis, dass eine Prognose 70:30 alles andere als ein sicherer Sieg sei, die Unsicherheitsfaktoren größer als bei früheren Wahlen, aber bereits ein systematischer Fehler wie bei früheren Wahlen das Ergebnis auf den Kopf stellen könne. Es ist also nicht so, dass es die Warnungen nicht gab und sie nicht auch in dem Milieu, das es anders wünschte, kognitiv wahrgenommen worden wären. Erst recht nicht, dass etwas totgeschwiegen wurde. Wahr ist allerdings, dass man die Gefahr nicht wahrhaben wollte. Solange alle Prognosen noch gut ausgingen, verdrängte man die Gefahr lieber, ließ sie emotional nicht an sich heran. Insofern hat auch das aufgeklärte Lager den Aufenthalt in einer Blase der eigenen Überzeugung bevorzugt, und das in der Tat widerspricht dem eigenen aufgeklärten Anspruch.
Bedenklich wird es allerdings, wenn der berechtigte Schrecken über die gestörte Wahrnehmung übersteigert wird durch eine Selbstbezichtigung der Schuld. „“Wir sind schuld““ titelt die taz am Freitag, und im Untertitel: „Wer hat Trump zum Sieg verholfen? Wir, die ignoranten liberalen Eliten, schreibt US-Aurorin Deborah Feldman“. Daran ist nun so ziemlich alles falsch. Dass „wir“ es nicht richtig gemacht haben, beweist der Wahlausgang. Während die Frage aber eher auf taktisch-strategische Fehler zielt, überhöht die Antwort den Fehler moralisch. Und das kann, mit Verlaub, im Umgang mit Trump nicht richtig sein. Man kann nicht einfach davon abgehen, dass dieser Mann, so wie er sich im Wahlkampf präsentiert hat, schlechterdings unwählbar war (hätte sein müssen) für jedeN, die/der sich politisch verantwortungsbewusst gebärdet und bislang für grundlegend und gemeinsam gehaltene Wertmaßstäbe wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und schlicht zwischenmenschlichen Respekt und die Menschenwürde teilt. Selten ist Politik moralisch eindeutig, hier schon. So viel konnte Clinton (und ihr Lager, und damit meinetwegen wir alle auf dieser Seite) gar nicht falsch machen, dass ihre Niederlage gegen diesen Gegner moralisch aufgeladen werden könnte. Tatsächlich passiert ja auch etwas anderes. Der taz-Titel gibt den zwei Seiten weiter abgedruckten Artikel der amerikanischen Autorin nämlich gar nicht korrekt wieder. Was selbstkritisch klingt, entlarvt sich als eher selbstgefällig. Das „wir“, dem sich die Autorin zugehörig fühlt, hat es nämlich schon lange besser gewusst. Kritisiert wird gar nicht die eigene Gruppe der gewissermaßen echten Linken, sondern die beklagte „liberale Elite“ sind jene Pseudo-Sozialdemokraten, die in Wirklichkeit dem Neoliberalismus fröhnen. Ungeachtet, dass an der Kritik inhaltlich einiges berechtigt sein könnte, missfällt doch sehr der Gestus, wie aus einem kontroversen, weil in der Situation vielleicht doch den falschen Gegner anvisierenden „Die sind schuld“ ein vermeintlich unangreifbares, wirklich aber geheucheltes „Wir sind schuld“ wird. Die linke „Schuld“-Rhetorik der vergangenen Tage scheint mir allgemein meist einem ähnlichen Muster zu folgen. Das ist dann also auch nur eine weitere Inkarnation des alten linken Paradoxons: Im Zweifel wird lieber die Distanz zur einem immer noch näher stehenden Position ins Auge gefasst als der gemeinsam viel größere Abstand zu einer dritten. Damit kann man auch die berechtigste Kritik zur Unproduktivität verdammen.
Oh, hat sich da gerade jemand über Nabelschau beklagt?
Wenden wir den Blick also nach vorn. Die Situation ist nun mal da. Einige sehr vorläufige Gedanken dazu, mit ihr umzugehen.
Kühler Kopf und klare Kante
Fast etwas befremdet blickt man, noch aufgewühlt von Schrecken und Verärgerung, auf den Versuch der Wahlverliererin und des scheidenden Amtsträgers, den Vorgang in möglichst viel zivile Normalität zu kleiden. Kann man denn mit einem wie Trump normal umgehen? Fast etwas zu frohlockend nimmt man den undiplomatisch gepfefferten Nicht-Glückwunsch des deutschen Außenministers wahr. Ist das nicht gegen alle Regeln des Umgangs? Nein, alles gut soweit, man kann eigentlich die einen wie den anderen nur belobigen. Der Umgang wird schwierig, ganz normal kann er auf absehbare Zeit nicht sein, wenn aber auch normal nicht geht, sind die zivilen Formen doch gerade gegenüber einem, der sie zu missachten pflegt, besonders wichtig, ja werden selbst schon zum politischen Faktum. Ich wünsche mir in diesem schwierigen Umgang aber schon Menschen mit so viel Rückgrat, von starken Worten im Wahlkampf nicht umstandslos auf Friede, Freude, Eierkuchen umzuschwenken. Dass sich Steinmeier auch nach der Wahl deutlich äußert, ist für eine einigermaßen offene Begegnung auf Augenhöhe sogar Voraussetzung. Dagegen ist es unnötig vorauseilend unterwürfig, wenn die wichtigsten EU-Repräsentanten eiligst mit einer Einladung um den Neugewählten herumscharwenzeln, und zwar kommentarlos. Eine gute Mitte getroffen hat da einmal mehr, das muss man ihr schon lassen, die Bundeskanzlerin, die den Gesprächsfaden sucht, aber zugleich zu verstehen gibt, auf welcher Grundlage man zusammenkommen kann – und auf welcher damit eben nicht. Der erste Impuls, einen Präsidenten Trump zu schneiden, wo es nur geht, ist töricht und falsch. Ihm nicht nur inhaltlich selbstbewusst, sondern auch eher formal und kühl entgegenzutreten, ist dagegen eine Frage der persönlichen und politischen Selbstachtung. Seine Politik wird man je von Fall zu Fall pragmatisch prüfen müssen. Mit ihm normal umgehen kann man zunächst nur im Sinne der Normalität, die das Protokoll vorgibt.
Jetzt erst recht!
Ganz überwiegend ist ein europäisches Weh über Trump ein Klagen auf hohem Niveau. Ihre Wahlentscheidung müssen in erster Linie schon die Amerikaner selbst ausbaden. (Randbemerkung dorthin: Man kann nicht gut gegen die Wahl Trumps demonstrieren, das wäre nicht weniger undemokratisch als viele seiner Attacken auf das politische System; sehr wohl kann man aber gleich von Anfang an massiv gegen eine Politik demonstrieren, die sich mit seiner Wahl ankündigt.) Welche Richtung seine Außenpolitik einschlagen wird, ist nach dem völlig unvereinbaren Mischmasch von isolationistischen und bellizistischen Äußerungen im Wahlkampf einstweilen überhaupt nicht einzuschätzen. Selbst dass er explizit den NATO-Bündnisfall mit einer wenn-Hypothese versah, ist zwar eine Unmöglichkeit unter Vertragspartnern, aber im Gesamtkontext erstmal nicht mehr als loses Gerede. Dass Europa auf die USA mutmaßlich nicht zählen kann, ist ja nicht einmal in erster Linie ein militärisches Problem. Auch wer Sicherheitspolitik bevorzugt diplomatisch betreibt, hat sinnvollerweise ein Interesse, die USA an seiner Seite zu wissen. Das bleibt abzuwarten. Europa sollte aber zügig anstreben, die eigene Handlungsfähigkeit zu verbessern. Eine europäische Kleinstaaterei wird erst recht keine Probleme lösen können. Ein Nationalismus, wie er zum Populismus trumpistischer Prägung auch in vielen Staaten Europas gehört, wird hier zum Keil mit Zerstörungskraft. Dagegen gibt es kein Zaubermittel. Ganz falsch wäre es jedenfalls, diesen Bestrebungen preiszugeben. Eine Schwächung Europas, und das fängt an mit Schlechtreden, wird seine Verächter nur stärken. Es ist wenig realistisch, dass in absehbarer Zeit eine institutionelle Vertiefung und Verdichtung der europäischen Einheit gelingen kann, obwohl dies gerade jetzt wünschenswert wäre. Wir müssen uns aber darum bemühen, dass dies einmal wieder möglich wird. Die Erfolgsgeschichte, die Europa trotz aller Schwächen und Mängel ist, muss endlich wieder als solche wahrgenommen werden.
Erst recht ist die Flucht nach vorn die einzige Option bei dem gravierendsten Problem, das die gesamte Welt mit einem US-Präsidenten Trump haben wird, und das wohl leider ziemlich unzweideutig. Im Kampf gegen den Klimawandel wird er keine Hilfe, sondern ein Bremsklotz sein. Das Paris-Abkommen ist ratifiziert, er wird also nicht den ganzen vertraglichen Prozess komplett hintertreiben können. Aber in seiner Amtszeit wird einigermaßen sicher nichts passieren, damit die USA ihren Beitrag zur Reduktion der Klimagase leisten. Die Folge ist ganz schlicht: Da wir die Notwendigkeit erkannt haben voranzukommen, müssen wir vorangehen. Die anderen großen Staaten müssen das auffangen, was die USA nicht leisten. Das ist im übrigen kein Altruismus. Ich bin überzeugt, dass sich dem menschengemachten Klimawandel durchaus noch viel entgegensetzen lässt. Wenn nur einige entschlossen vorangehen, werden die anderen sehen, dass sie nicht nur in dieser Hinsicht zurückbleiben, weil die zukunftsweisenden Technologien bei den Pionieren sind. Sich dem Klimawandel nicht entgegenzustellen, ist auch in allgemeiner zukunftspolitischer Hinsicht mutlos. Wir müssen nur erst eine gewisse Dynamik entfesseln, dann wird Klimaschutz so attraktiv werden, dass geradezu ein Wettlauf um die wirkungsvollsten Maßnahmen in Gang kommt. Dann werden amerikanische Industrielle Trump verfluchen, weil das Land in seiner Regierungszeit in einen kaum mehr aufholbaren Rückstand geraten ist …
Die deutsche Bundesregierung hat das ja zum Glück erkannt … und ihren aktuellen Klimaschutzplan bis zur Bedeutungslosigkeit verwässert. Das ist jetzt nicht einfach nur eine schlechte Nachricht. Das ist wirklich ganz sagenhaft dumm. Trump-Niveau, liegt mir zu sagen auf der Zunge. Aber ich wollte ja eigentlich sachlich bleiben.
Zusammenhalt der Gesellschaft
Von den „zwei Staaten von Amerika“ schrieb die taz am Wochenende, der Tenor ist in vielen Medien derselbe, und die Entwicklung ja nicht ganz neu. Dass durch Amerika mehr noch als anderswo ein Riss geht, und früher schon ging, zeigen die blau-roten Wahlmännerkarten schon aller Präsidentenwahlen spätestens nach Clinton (Bill). Die Ränder (Küsten) blau, die Mitte rot. Auf dem flachen Land ist für die Demokraten schon lange nichts mehr zu holen, in den Städten für die Republikaner. Die Verteilung als solche wäre vielleicht zu verschmerzen, aber über die Distanz ging auch die Kommunikation verloren, überhaupt die Grundlagen. Nicht erst seit Trump ist das Reden übereinander – nicht miteinander – oft hasserfüllt. Wenn es heute heißt, die ‚liberalen Eliten‘ verachteten die ‚einfachen Menschen‘, sollte nicht vergessen werden, dass die Spirale des Hasses schon von rechts ausging. Besonders die Präsidentschaft Obamas hat die verbreiteten rassistischen Vorurteile offenbar so provoziert, dass Internetforen jedweden Themas mit Gülle zugekübelt werden konnten, über ihn, über Washington, über das System im allgemeinen. Das Ausmaß von Hass, Verachtung und Niedertracht hat dort schon lange Werte erreicht, die wir bei uns gerade erst kennenlernen. Mit Trump ist das jetzt mehrheitsfähig geworden. Das heißt nicht, dass alle, oder auch nur die meisten, seiner Wähler diese Respektlosigkeit vor dem Menschen und seiner Würde teilen; hingenommen als Kollateralschaden haben sie aber auch diese. Derart skrupellos zu werden zeigt schon eine furchtbare Verzweiflung an. Vielleicht ist die Metapher von den „Abgehängten“ nicht ganz falsch, wobei es eine subjektive Zuschreibung bleiben muss, denn es sind ja nicht die Ärmsten, die Trump überdurchschnittlich wählen. Aber der Blick auf Durchschnitte verzerrt natürlich auch das Bild, Reiche sind weltweit gerne konservativ und wählen von daher in den USA öfter Republikaner. Signifikant ist eher, dass Trump in Wählerschichten gut abgeschnitten hat, die Republikaner gewöhnlich (und so auch er) nicht mehrheitlich gewinnen können. Und so landet man eben doch bei den Veränderungsverlierern als den Wählern, die er zwar vielleicht gar nicht am meisten gewann, die aber den Ausschlag gaben. Oder die Veränderungsverlust-Fürchtende. Das ist ja offenbar auch in Deutschland die Gruppe mit dem größten AfD-Potential. Und natürlich haben wir da ein reales und nicht nur eingebildetes Problem.
Seit dem amerikanischen New Deal und dem westdeutschen Wirtschaftswunder boten unsere Gesellschaften einer enorm verbreiterten Gruppe Menschen die Chance, zu ein wenig Wohlstand zu kommen. Sehr wenig oft nur, wenn man genauer darauf schaut und mit heutigen Verhältnissen vergleicht, aber recht stabil und zuverlässig war er über lange Zeit. Kurz gesagt, haben heute zwar sehr viele Menschen sogar deutlich mehr; aber mit oft gutem Grund kein großes Vertrauen darauf, damit auch sicher in die Zukunft schauen zu können. Das ist ein Effekt der enorm dynamisierten Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte, die in vieler Hinsicht durchaus erfolgreich genannt werden muss, aber ihren Preis hat. Das Versprechen, wenn es den Erfolgreichen oben gut geht, falle auch für die Schwächeren weiter unten etwas ab („trickle down“) hat sich erfüllt, aber allzu wörtlich: „Heruntergetröpfelt“ ist schon ein bisschen was, aber das meiste ist eben doch hängen geblieben. Die Abstände zwischen oben und unten sind größer geworden. (Das ist in den letzten Jahren zum Stillstand gekommen, aber die Veränderung ist nun einmal da.) Und zugleich ist in der unteren Hälfte das Risiko gewachsen, weiter abzurutschen; minimal dagegen ist die Chance, aus der unteren Hälfte nach oben herauszukommen. Da mag man sich schon abgehängt fühlen, selbst wenn es einem möglicherweise alles andere als wirklich schlecht geht. Allzu wenig ist geblieben von einer unteren Mittelschicht, die sich ihres bescheidenen Wohlstands sicher sein kann. Warum einen das gleich anfällig machen muss für die größtmöglichen politischen Dummheiten, ist damit noch nicht erklärt. Aber wenn einen der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht schon aus einer moralischen Verantwortung heraus interessiert, müsste man sich schon aus reinem Pragmatismus dagegen stemmen, dass die Gruppen der Gesellschaft immer weiter auseinanderklaffen. „Umverteilung“ ist ja ein Kampfbegriff, der gern gegen jegliche Spielart irgendwie linker Politik vorgebracht wird. Es hat über die letzten Jahrzehnte eine ziemlich gigantische Umverteilung von unten nach oben stattgefunden. Sie kann den Wahlerfolg eines Trump nicht allein erklären und schon gar nicht rechtfertigen. Aber es wäre schon längst an der Zeit gewesen, einen kleinen Strom in die Gegenrichtung zu leiten.